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Auskalken
Über das Auskalken von Feldern
Was tut einer, der Felder auskalkt? Er kalkt Felder in Felder. Er legt den Kalk in das Feld, und zwar in bestimmten Formen. Aber die Formen sind nicht gänzlich kontrollierbar, sie werden sich in das Feld einpassen, in gewissen Bahnen zerlaufen.
Dieses Geschehen ist also weder in der Verfügungswillkür unseres Auskalkers noch ein reines Naturereignis. Bringt er die Formen ins Feld, empfängt er sie vielmehr von ihm: er erntet. So ist das Kalken ein Säen.
Die Strukturen, die in Erscheinung treten, entstehen erst durch die Tat des Auskalkens, und doch sind es Strukturen der Landschaft selbst. Der Kalker kann nur empfangen, was das Feld von sich hergibt – er ist Geburtshelfer. Die Landschaft wird so auf neue Weise sichtbar: sie bringt nicht nur die Kalkformen hervor, sondern darin auch sich selbst.
Die Formgebung macht sichtbar, was ist, nicht durch Abbildung, vielmehr durch Schöpfung. Diese Schöpfung ist aber kein Machen, sie ist eben ein Säen und Ernten.
Was der Kalker erntet, ist eine Form, die Landschaft selbst – und eine Sicht: die Verfremdung der Landschaft erschließt einen neuen Erfahrungsraum und lässt das Erfahren selbst erfahren. Verfremdung heißt nicht, dass eine für sich stehende Natur durch einen ihr entgegenstehenden Kulturakt deformiert wird, sondern verfremdet wird der Blick, der durch die Ver-rückung aus dem Gewohnten sich in seinem Sehen und die Sichtbarkeit des Geschehens erfährt, sodass die Landschaft hier erst in ihrer Ausdrücklichkeit da ist. Die Verfremdung rückt ins Eigene. Ebenso tritt der Kalk als er selbst hervor, tritt aus der Unscheinbarkeit in die Auffälligkeit. Gerade indem Feld und Kalk ganz sie selbst sind, sind sie der Ort des Anderen, der neuen Form, in der die Sicht wohnt.
Schon Generationen von Bauern haben das Land verfremdet, seiner Urwüchsigkeit beraubt und dabei die Sichtbarkeit der Welt gewonnen: Land und Saat verlieren sich und treten darin in ihre eigenste Möglichkeit.
So ist das Auskalken eine landwirtschaftliche Tätigkeit. Es ist ein Bestellen, Bebauen des Ackers und als solches ein Bekalken. Dabei bleibt die Landschaft nicht unverändert, durch die verflechtende Verbindung geschieht die Verwandlung: die Landschaft verkalkt. Dieser Verkalkungsprozess erwirkt die Form, er erkalkt den Ertrag des Bodens.
Das aus- nennt nicht nur das Ausstreuen der Aussaat, sondern das gründlich-gänzliche Vollbringen (wie in Ausmalen oder Ausarbeiten): so ist das Auskalken die Gänzlichkeit des Bekalkens, das durch das Verkalken des Feldes den verfeldeten Kalk erkalkend gewinnt und erntet.
Kann sein, dass der Landwirt den Kalker scheel ansieht, wenn jeder der beiden morgens zu seiner Arbeit geht.
Aber eigentlich tun sie dasselbe.
Text/ Dr. Wolfgang Fasching
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Wie familiäre Bildreihen sich über jede Begrenzung hinwegsetzen
Der Lichteinfall durch die gewölbten Fensterluken des Moments – die zurückliegende Tür der verdichteten Geschichte, entstanden von Frost gezeichneten Pappeln.
Dieses taktische Bild eines lebendigen Gefüges folgt den Hinweisen der freien Liebe beim Aufbau der Collage, dem Manöver der Gedanken im Betätigungsfeld des Befreiungskampfs.
Der Schmerz bleibt in der Geschichte unerfüllt.
Es ist eine tabulose Reflexion oder ein herbeigeführter Zerfall von Absichten und Wünschen. Ein Plündern der Möglichkeiten, die gegen die Wahrheit verstoßen und die Vorgänge mit einer Bildsprache der eigenen Geschichtsschreibung umhüllen.
Der Hintergedanke ist ein Eigennutz, die Auflehnung ist der Eintritt, die Fundstellen sind reichhaltig.
Neue Linien ergeben den Aufruhr, den wachsenden Einfluss der Widersprüche. Die gesellschaftlichen Kräfte treiben die missglückten Umstände voran. Die Bündnisse der Rohware verlieren ihre Grenzregulierung in einem Anliegen ohne Auftraggeber.
Die Szene verdichtet sich in der Ratifizierung des Vertrags, in einer Tagung zwischen Vertretern verschiedener Positionen; einer Chronik, die keine Zeitleiste kennt. Ein Vorhaben blockiert durch die Widersetzung. Die Glaubwürdigkeit der praktischen Vorschläge treibt den Prozess an, einheitlich in der Kommunikation mit der Ansicht.
Demokratische Forderungen in der Vergabe der letztlichen Position werden diskutiert ohne Stimmrecht.
Die Bilder werden zum Resonanzboden für meine Gedanken. Die Frau, deren Name unbekannt ist, das bekannte Gesicht verborgen im Dickicht feiner Linien. Gesichter unterschiedlicher Zeitepochen bilden die Landungsbrücke, getragen von einer möglichen Familiengeschichte.
Eingemietet in ein unmöbliertes Zimmer in der Nachbarschaft begreife ich die angebotene Sammlung. Ein Sozialbau – entrollte Kleidungsstücke aus den Koffern verschiedener Generationen.
Die frühlingshafte Luft der Erlösung einatmend begegne ich am Spätnachmittag flüchtig meiner Arbeit. Das Schweigen wird von einer Gebärde aufgehoben, gefolgt von einem Flüstern im Abendschein des künstlichen Lichts im Studio. Der Lebenskreis ist zugeordnet. Einmal hervorgehoben ist das Labyrinth der Gesichtsausdrücke zum Vorschein gebracht.
Die Reihen der Wohnblöcke formen sich zum einheitlichen Block. Der Zusammenhalt beruht auf den Schwächen.
Ich diene nur mehr als Meldegänger einer Arbeit, die keine Lagebeschreibung mehr erfordert.
Erörtert als Familie.
Text/ Wilhelm Singer